Berlin (ots) –
Kündigungen am ersten Tag nach der Elternzeit, weniger Gehalt beim Wiedereinstieg, abwertende Bemerkungen bei Fehlzeiten aufgrund eines kranken Kindes – Elterndiskriminierung im Job passiert jeden Tag und hat Auswirkungen auf uns alle: Sie zementiert traditionelle Rollenverteilungen, in denen Frauen mit Fürsorgearbeit und Männer mit Erwerbsarbeit gleichgesetzt werden, gefährdet die Gesellschaft durch sinkende Geburtenraten, Einbußen in Sozial- und Steuerabgaben und bringt Unternehmen langfristig um ihre Konkurrenzfähigkeit. Rechtsanwältin Sandra Runge und Journalistin Karline Wenzel engagieren sich seit 2020 für die Gleichberechtigung von Eltern in der Arbeitswelt. Ihr Buch „Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert“ (Eden Books) zeigt erschütternde Fallbeispiele aus der Arbeitswelt und gibt Tipps wie Eltern sich wehren können.
Ihr Buch ist aus der Initiative #proparents hervorgegangen, die Sie während der Pandemie gestartet haben. Wie kam es zu der Initiative und was ist ihr Ziel?
Sandra Runge / Karline Wenzel: Wir haben uns zu Beginn der Pandemie kennengelernt, als wir beide mit tiefen Augenringen und dünnen Nerven versucht haben, unsere Jobs parallel zur Kinderbetreuung und Homeschooling zu jonglieren. Wie tausende andere Eltern waren auch wir fassungslos, wie selbstverständlich Eltern diese Doppelbelastung aufgeladen wurde, mit gravierenden Nachteilen für tausende von Erwerbsbiografien und Kräften, insbesondere von Müttern, und wie achselzuckend dies von der Politik hingenommen wurde. Wir fordern mit #proparents die Aufnahme des Diskriminierungsmerkmals „Elternschaft“ beziehungsweise „Fürsorgeleistung“ in § 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Eine entsprechende Regelung im AGG würde alle berufstätigen Eltern, unabhängig von Familienstand und vom Geschlecht umfassen: Mütter, Väter, egal ob alleinerziehend, oder in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft – vom Minijobber bis zur Geschäftsführerin. Sie alle wären durch eine klare gesetzliche Grundlage vor Benachteiligungen geschützt, könnten Anspruch auf Schadensersatz geltend machen und sich im Diskriminierungsfall auf eine Beweislastumkehr stützen.
Reicht das Mutterschutzgesetz nicht aus?
Sandra Runge / Karline Wenzel: Das Mutterschutzgesetz (MuSchG) und das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) schützen nur teils vor Benachteiligungen, etwa vor Kündigungen während Schwangerschaft und Elternzeit. Trotz der besonderen Schutzbedürftigkeit, trotz der immensen negativen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft und Wirtschaft gibt es kein in Stein gemeißeltes Gesetz, das besagt: Die Benachteiligung von Eltern in der Arbeitswelt ist unzulässig. Dieser klare, einfache und unmissverständliche Satz, bei dem alle nicken, ist kein Teil unserer Rechtsordnung. Zwar können sich Eltern bei Diskriminierungen im Job teilweise aufs AGG berufen, doch dieses Gesetz hat Schutzlücken zu Lasten von Eltern: Eine ganz wichtige Lücke klafft beim Wiedereinstieg, insbesondere von Müttern, die statistisch gesehen eine längere Elternzeitpause einlegen als Väter.
Sind Väter denn vor Elterndiskriminierung geschützt?
Sandra Runge / Karline Wenzel: Statistisch trifft es immer noch deutlich mehr Mütter. Aber Väter begeben sich genau dann in Gefahr, wenn sie aus dem klassischen Rollenverständnis „Mann = Alleinverdiener“ ausbrechen wollen und länger als zwei Monate in Elternzeit gehen. Und genau hier sehen wir die zweite Schutzlücke im AGG. Väter werden bei dem Schutz vor Diskriminierungen völlig ausgeblendet, „Vaterschaft“ erscheint dort noch nicht einmal als Begriff.
Elterndiskriminierung beginnt erst dann, wenn man Mutter oder Vater geworden ist – oder nicht?
Sandra Runge / Karline Wenzel: Nein, so absurd es ist, die Diskriminierung von Eltern beginnt schon oft viele Jahre, bevor ein Mensch Vater oder Mutter wird. Besonders junge Frauen können ein Lied davon singen. Als Kolleginnen, Geschwister, Freundinnen können sie beobachten, wie selbstverständlich Eltern im Job benachteiligt werden. Die Signalwirkung ist enorm – Elternschaft wird mit negativen beruflichen Konsequenzen assoziiert, sodass sich Glaubenssätze wie „Wenn ich Kinder bekomme, ist meine Karriere futsch“ oder „In meiner Branche kann man halt nicht Kinder und Karriere verbinden“ festsetzen.
Was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn Eltern im Arbeitsleben diskriminiert werden?
Sandra Runge / Karline Wenzel: Nahezu alle Elterndiskriminierungen sind darauf zurückzuführen, dass unsere Arbeitswelt auf diesen tradierten Rollenbildern beruht: Frau = Fürsorgearbeit und Mann = Erwerbsarbeit. In vielen Familien klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander und ein gleichberechtigtes Vereinbarkeitsmodell funktioniert oftmals nicht. Die Arbeitsbedingungen für Eltern entsprechen kaum ihren Bedürfnissen und führen, befeuert von struktureller Diskriminierung, dazu, dass sie in traditionelle Rollenverteilungen zurückfallen und insbesondere Mütter finanzielle Einbußen davontragen.
An wen richtet sich Ihr Buch?
Sandra Runge / Karline Wenzel: Hauptsächlich an Eltern, aber auch an alle anderen Menschen, die sich für eine elternfreundlichere Welt einsetzen wollen. Jede diskriminierte Mutter und jeder benachteiligte Vater verdienen hundert Prozent Solidarität und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Unser Buch soll Mut machen, sich gegen Benachteiligungen zu wehren, über Rechte und Pflichten informieren, Rat geben und dazu beitragen, dass es in Zukunft heißen wird „Glückwunsch zum Baby, lassen Sie uns gemeinsam über ihre nächste Beförderung sprechen!“
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