München (ots) –
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte unlängst vorgeschlagen, Vermieter von der Pflicht zu befreien, in ihren Wohnungen eine Mindesttemperatur von 20 Grad zu ermöglichen. Mit dieser Maßnahme sollte der drohenden Gasknappheit entgegengewirkt werden. In der darauffolgenden Diskussion erhitzten sich die Gemüter schneller als eine Gasheizung im Hochwinter. Deshalb sollen hier vorhandene Daten rund um das Heizverhalten der Bürgerinnen und Bürger differenzierter interpretiert werden, um die Debatte zu versachlichen.
Bereits im Jahr 2014 hatte der Messdienstleister BRUNATA-METRONA erstmals in einer Statistik[1] die Temperaturdaten von hunderttausenden Wohnungen aus dem ganzen Bundesgebiet ausgewertet. Diese – wie auch zwei Folgestatistiken[2] [3] aus dem Jahr 2018 – verdeutlichen, dass es kein gangbarer Weg ist, unterschiedslos jedem Wohnungsnutzer nahezulegen, seine Heizung sukzessive weiter zu drosseln. Das individuelle Heizverhalten hängt nämlich von vielen unterschiedlichen Faktoren ab.
Zunächst einmal ist es ein Irrglaube, dass in deutschen Mietwohnungen typische Raumtemperaturen über 20°C herrschen. In der Mehrzahl von etwa 20 Millionen Haushalten in Mehrfamiliengebäuden herrschen mittlere Raumtemperaturen von unter 20°C vor.1 Die Mehrheit der Mietenden geht bereits – teilweise auch notgedrungen finanziell – mit Heizenergie durchaus sparsam und vorbildlich um. Dies kann sicherlich als Erfolg der in Deutschland mittlerweile fest etablierten verbrauchsabhängigen Heizkostenabrechnung verbucht werden.
Über die Gesamtheit des Gebäudebestandes hinweg lässt sich sagen: je neuer das Gebäude, desto wärmer die durchschnittliche Raumtemperatur. Während in Altbauten mit einem Heizenergieeinsatz über 100 kWh/m2a oft sehr bewusst geheizt wird, scheinen Bewohnerinnen und Bewohner von Neubauten auf den ersten Blick ein weniger ausgeprägtes Energiebewusstsein zu haben. Dort stagniert der Heizenergieeinsatz fast immer über 50 kWh/m2a – auch wenn der Baustandard niedrigere Werte erwarten ließe.
Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Der Hauptgrund für die ganzjährig höheren Temperaturen liegt im Gebäude selber. „Moderne Wohnungen speichern aufgrund der guten Isolation der Außenhülle viel Energie, das sorgt für ein sehr gleichmäßiges Temperaturniveau“, erklärt der Studienverantwortliche Dr. Franz Schröder, Data Scientist bei METRONA Union. „Echte Kälte- oder Kontrastwärmeerlebnisse kommen praktisch nicht mehr vor, Temperaturveränderungen passieren sehr langsam oder gar nicht. Um eine spürbare Abkühlung zu erreichen, muss sehr viel thermische Energie, die in Wänden und innerer Bausubstanz gespeichert ist, abgelüftet werden.“ Das führt dazu, dass die Bewohnenden gerne die Fenster gekippt lassen, um durch den Luftzug ein Gefühl von Frische zu bekommen. Dadurch wird unmerklich viel Energie zum Fenster hinaus entlassen. Dabei handelt es sich um den sogenannten Rebound-Effekt. Im Bewusstsein, in einem energieeffizienten Gebäude zu leben, „gönnen“ sich die Bewohnenden längere Lüftungsphasen und verhindern so die möglichen Einsparungen mindestens teilweise. Für moderne Gebäudeklassen konnte die Studie – auch im Hochwinter – dauerhafte Fensteröffnungsraten von über 10% nachweisen.2
In modernen Gebäuden steckt also das Potenzial, nicht die Garantie, für substanzielle Einsparungen. Schröder verweist darauf, dass es in Niedrigenergiegebäuden bei einem Komplettausfall der Heizungsanlage mehrere Tage dauert, bis die mittlere Gebäudetemperatur tatsächlich unter 20°C sinkt. Und noch ein weiterer Aspekt ist in diesem Zusammenhang wichtig, wie Simon Möller anmerkt. Der Soziologe der Ludwig-Maximilians-Universität in München untersucht, welche Faktoren das menschliche Heizverhalten beeinflussen. Er betont: „Zu einem gewissen Grad ist der Umgang mit Temperaturen auch Gewöhnungssache. Die Temperaturpräferenzen sind zum Teil ‚gelernt‘. Das gilt zum Beispiel für den Wunsch, im Winter bei kalten Raumtemperaturen schlafen zu wollen und dafür Wärme aus einem gut gedämmten Gebäude hinauszulüften – eine energieintensive Routine, die aber für die Schlafqualität nicht unbedingt notwendig ist.“
Möller gibt zusätzlich zu bedenken: „In Mehrfamilienhäusern hat die Wirksamkeit eines Sparappells Grenzen, denn teilweise arbeiten die Mieter – unabsichtlich – sogar gegeneinander. Einer ist schon bei 18 Grad Wohnungstemperatur glücklich und muss unter Umständen gar nicht heizen, da seine Wohnung von der Nachbarin mitgewärmt wird. Die Nachbarin wiederum hätte gerne 22 Grad, erreicht diese aber wegen der kühlen Nachbarwohnung nur schwer und muss deutlich mehr heizen. Wir sagen deshalb: Man muss ein solches Wohngebäude auch als Heizgemeinschaft verstehen.“
Im Eigenheim besteht dagegen die Möglichkeit für das Individuum, die Heizkurve abzusenken und dadurch den Verbrauch der Heizung zu reduzieren. Zudem entfällt mit dem Mieter-Vermieter-Dilemma ein gravierendes Investitionshemmnis. Effizienzmaßnahmen kommen hier denjenigen zugute, die dafür die Kosten tragen. Und das ist wichtig – denn obwohl weniger als die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands in Ein- oder Zweifamilienhäusern lebt, verbrauchen Eigenheime zwei Drittel der Heizenergie im Wohnsektor.3
Eine schnell wirksame Maßnahme zur Energieeinsparung wäre es, auf kalendarisch festgelegte Heizperioden zu verzichten. Stattdessen sollten sich Beginn und Ende der Heizperiode an den tatsächlichen Witterungsbedingungen und den thermischen Eigenschaften des Gebäudes orientieren. Und auch den Warmwasserkonsum sollte man im Auge behalten. In modernen Gebäuden macht dieser nämlich stellenweise bis zu 40% Prozent des Endenergieverbrauchs aus.
Was beiden Experten jedoch in der Diskussion zu kurz kommt, ist die fehlende Differenzierung zwischen privaten Haushalten und Gewerbebauten. In Geschäften, Bahnhöfen und Flughäfen wird sehr viel Energie für Heizung (und im Sommer für Kühlung) verbraucht, häufig aus kaufpsychologischen Gründen. Anders als im privaten Umfeld könnte hier der Gesetzgeber tatsächlich kurzfristig einheitlich regulierend eingreifen. Dies gilt auch für Firmenbüros und öffentliche Gebäude wie Behörden und Schulen. Wenn alle wissen, dass dort die Temperatur ein bestimmtes Niveau nicht übersteigt (z.B. 19°C), können sich die Menschen in gewissem Grad darauf einstellen und passend anziehen.
Im privaten Umfeld ist es komplizierter. Hier sind regulierende Eingriffe schwer möglich, aber auch Sparanreize wirken nur begrenzt. „Am wirksamsten sind sicher Maßnahmen am Gebäude und der Gebäudetechnologie, bei denen aber die Eigentümer tätig werden müssen.“ Um das Verhalten der Bewohner zu verändern, braucht es laut Möller hingegen mehr als einfache Appelle. Denn „energieintensive Gewohnheiten wie zum Beispiel, leicht bekleidet in der Wohnung rumzulaufen, legen Bewohner nur schwer ab. Eine Kombination aus zielgruppenspezifischen und niedrigschwelligen Informationsangeboten und den jetzt bestehenden höheren Preisen kann aber dazu beitragen, liebgewonnene Gewohnheiten zu hinterfragen.“ Die mittlerweile vorgeschriebenen unterjährigen Verbrauchsinformationen (UVI) und die ab Dezember obligatorischen „Ergänzenden Informationen in der Abrechnung“ (IDA) sind somit richtige und wichtige Schritte. Auch ein besserer Dialog zwischen Mietern und Vermietern könnte helfen, um konkrete Mängel wie hydraulisch schlecht abgeglichene Heizungen zu identifizieren, Effizienzpotentiale zu heben und zur Sensibilisierung für richtiges Heizen und Lüften beizutragen.
Dennoch wird es bei Menschen mit niedrigem Einkommen Härtefälle geben und mit Tipps allein kann – speziell in der Wohnungswirtschaft und bei den privaten Haushalten – nicht jedem geholfen werden. Mittelfristig gesehen kann intelligente Gebäudetechnik viel bewirken. Im kommenden Winter ist jedoch das Verhalten der Menschen die effektivste Stellschraube.
[1] Bauphysik 36-2014: Reale Trends des spezifischen Energieverbrauchs und repräsentativer Wohnraumtemperierung bei steigendem Modernisierungsgrad im Wohnungsbestand
[2] Bauphysik 03-2018: Sind Rebound-Effekte unvermeidbar?
[3] Bauphysik 04-2018: Heizenergie-Verbrauchsentwicklung im Wohnungsbestand seit 2004
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