Berlin (ots) –
Mehr als vier Monate nach Kriegsausbruch in der Ukraine berücksichtigen ESG-Nachhaltigkeitsratings immer noch nicht, ob ein Unternehmen noch in Russland Geschäfte macht oder produziert. Zwar hat etwa der Datenanbieter MSCI pauschal alle russischen Unternehmen auf die Note „B“ herabgestuft (auf einer Skala zwischen „AAA“ als Bestnote und „CCC“ als schlechtestem Wert). Doch internationale, börsennotierte Unternehmen können nach Recherchen des Wirtschaftsmagazins CAPITAL (Ausgabe 08/2022, EVT 14. Juli 2022) trotz Russlandgeschäft als „nachhaltig“ eingeordnet werden.
So behält der französische Nahrungsmittelkonzern Danone ein „AAA“-Rating von MSCI, obwohl er lediglich Lieferungen der Marken Evian und Alpro und die Produktion nicht lebenswichtiger Lebensmittel in Russland eingestellt hat. Auch die Agenturen Sustainalytics und Refinitiv bewerten Danone als nachhaltig. Andere als nachhaltig eingestufte Unternehmen mit größeren Umsatzanteilen in Russland sind etwa das Baustoffunternehmen Heidelberg Cement, der Gabelstapelhersteller Kion sowie die europäischen Banken Intesa Sanpaolo und Raiffeisen International. Auch Pharmafirmen wie Merck, Roche, AstraZeneca, Novartis und Novo Nordisk sind vertreten.
MSCI gibt an, dass die Analysen mit dem Hinweis versehen würden, bei den betreffenden Unternehmen gebe es „andere Ereignisse mit großen Auswirkungen auf die Unternehmensführung“. Diese Notiz solle auf das Risiko hinweisen, dass Vorstände und Management womöglich durch das Russlandgeschäft von operativen Aufgaben abgelenkt werden können. Risiken wie Rufschädigung oder mögliche Rechtsübertretungen beim Handel in sanktionierten Märkten berücksichtigen die Agenturen hingegen nicht.
Eine Studie des Versicherungskonzerns Generali wirft den Analysehäusern inzwischen sogar vor, Warnsignale des Konflikts im Vorfeld des Kriegs verpasst zu haben. Dass das ESG-Konzept hier versagt habe, sagt auch Henry Schäfer, BWL-Professor an der Uni Stuttgart: „In den ESG-Ratings für Unternehmen gibt es für kriegerische Bedrohungen eines Landes bis heute keine Indikatoren.“ Das Problem sei, dass die Ratingagenturen zwischen Länder- und Unternehmensbewertungen unterscheiden. Gibt ein Land viel für Rüstung aus, wird es abgewertet, Unternehmen bleiben davon unberührt. Die EU-Kommission müsse hier einschreiten.
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