Hamburg (ots) –
Es begann mit der Migrationswelle 2015 und 2016 aus dem damaligen Bürgerkriegsland Syrien. Seitdem hat wohl kein Problem die Institutionen der Europäischen Union so lange und so oft beschäftigt. Erneut zugespitzt hat sich die Lage durch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan 2021, ehe Russland im Februar 2022 Russland in die Ukraine einfiel. Den Angriffskrieg interpretieren Beobachter auch als einen Angriff auf die Demokratie und die europäischen Werte. Er gab dem Thema Flucht und Migration in Europa noch einmal einen völlig neuen Stellenwert.
Grundlagen der europäischen Migrationspolitik sind nach wie vor das Dublin-Verfahren und das Schengen-Abkommen. Immer wieder werden Reformen dieser Vereinbarungen gefordert. Gestritten wird vor allem darüber, ob und wie Schutzsuchende auf die EU-Länder verteilt werden. Eine feste Quote für die Verteilung scheiterte mehrmals am Widerstand einiger Länder wie Polen, Ungarn und Tschechien.
Dublin-Verfahren
Das sogenannte Dublin-Verfahren legt fest, dass Schutzsuchende in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, wo sie zuerst registriert wurden. Es gilt seit 2003 für die EU-Staaten sowie für die Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island. Ob das Verfahren tatsächlich durchsetzbar ist, wurde immer wieder bezweifelt. Vor allem aber galt es als ungerecht, weil Länder am Rand Europas wie Griechenland extrem überlastet waren. Für die Fluchtbewegung aus der Ukraine ist das Dublin-Verfahren ausgesetzt worden. Stattdessen beschlossen die EU-Innenminister im März 2022 Regeln zum „vorübergehenden Schutz“ für Flüchtlinge aus der Ukraine.
Schengen-Raum
Eine weitere wichtige Säule der europäischen Migrationspolitik ist das Schengen-Abkommen (https://www.europarl.europa.eu/factsheets/de/sheet/153/schutz-der-eu-au%C3%9Fengrenzen), das 1995 in Kraft getreten ist. Der Schengen-Raum gilt als der größte visumfreie Raum der Welt. Das Abkommen sichert weitgehende Freizügigkeit innerhalb des Vertragsraumes durch den Wegfall der Grenzkontrollen – und sieht gleichzeitig einen effektiven Schutz der Außengrenzen vor. Dem Schengen-Raum gehören 22 EU-Staaten und vier weitere Länder an. Allerdings haben einige Länder wie Deutschland immer wieder zeitweise Grenzkontrollen eingeführt, etwa um die Covid-Pandemie einzudämmen oder bei Terrorgefahr.
Debatte über Schengen-Reform
Wenige Wochen vor Beginn des Kriegs in der Ukraine hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron eine Reform des Schengen-Raums angeschoben.
Das System zum Wegfall von Grenzkontrollen sei in einer ganz anderen Zeit entstanden als heute, sagte er und forderte unter anderem einen stärkeren Schutz der Außengrenzen. Länder an der EU-Außengrenze sollten mehr Hilfe erhalten. Macron betonte, beim Thema Migration könne es nur eine europäische Lösung geben. Die EU-Staaten müssten zunächst wieder Vertrauen zueinander finden.
4,7 Millionen ukrainische Flüchtlinge in Europa
Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, der am 24. Februar 2022 begann, hat die Debatte über Migration und Flüchtlinge in Europa schlagartig verändert. Von den mehr als 44 Millionen Ukrainern haben seit Beginn des Krieges nach Angaben der UNO-Flüchtlingshilfe rund 6,9 Millionen die ukrainische Landesgrenze überschritten, um sich in Sicherheit zu bringen (Stand 8. Juni 2022), der polnische Grenzschutz hat seit dem 24. Februar 2022 mehr als 3,8 Millionen Einreisen aus der Ukraine gezählt.
Bisher sind 4,7 Millionen ukrainische Flüchtlinge in europäischen Ländern registriert worden (Stand 8. Juni 2022), über 600 000 Flüchtlinge davon in Deutschland (Stand 5. Mai 2022). Allerdings zieht es bereits jetzt einige Menschen zurück in die Ukraine. Durch diese „Pendelbewegungen“ und dadurch, dass es innerhalb des Schengen-Raumes nur wenige Grenzkontrollen gibt, bleibt es auch dort schwierig, genaue Zahlen zu den Ankünften pro Land zu haben. Anfang März haben die EU-Staaten entschieden, allen Ukrainern schnell und unbürokratisch Schutz zu bieten.
Kritik am Umgang mit Flüchtlingen aus der Ukraine
Doch es gibt auch Kritik daran, dass Flüchtlinge aus der Ukraine anders und besser behandelt werden als Migranten etwa aus nicht-europäischen Ländern. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International wirft vor allem Polen eine Diskriminierung von Flüchtlingen vor. Während Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet sind, mit offenen Armen empfangen würden, seien Flüchtlinge aus dem Irak oder Syrien an der polnisch-belarussischen Grenze systematischer Diskriminierung, Rassismus und Gewalt ausgesetzt. Einer aktuellen Studie von Sozialwissenschaftlern der Universität Warschau zufolge sind über 64 Prozent der Befragten der Meinung, Polen sollte den Flüchtlingen aus dem Nachbarland Schutz bieten, bis sie in ihre Heimat zurückkehren können. Weitere knapp 30 Prozent sprechen sich dafür aus, den Geflüchteten aus der Ukraine zu ermöglichen, sich dauerhaft in Polen anzusiedeln.
„Freie Wahl für die einen, Dublin-Zwang für die anderen?“, fragt die Organisation Pro Asyl. Der Umgang mit ukrainischen Flüchtlingen stehe in scharfem Kontrast zu den sonstigen Regeln der europäischen Flüchtlingspolitik. Denn nach der Dublin-III-Verordnung müssten Menschen in dem Land einen Asylantrag stellen, in das sie als erstes einreisen. Die allermeisten Menschen auf der Flucht könnten sich also nicht aussuchen, ob sie in Frankreich, Schweden oder Deutschland einen Asylantrag stellen und später leben möchten. Flüchtlinge aus der Ukraine müssen dagegen keinen Asylantrag (https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/AsylFluechtlingsschutz/faq-ukraine.pdf;jsessionid=F117D19A1F56ECEF7639C0145AA75709.intranet262?__blob=publicationFile&v=36) stellen.
Keine Chance für die Quote
Die alte Debatte über verbindliche Quoten zur Verteilung von Flüchtlingen ist auch durch den Ukraine-Krieg nicht vorangekommen. Auch Deutschland rückte von seiner ursprünglichen Forderung nach einem festen Verteilungsschlüssel ab. Jetzt ist ein Index im Gespräch, der die freiwillige Verteilung einfacher machen soll. Ziel ist es, dass die EU-Staaten einander anbieten, Menschen aufzunehmen, wenn andere Länder besonders belastet sind.
Mehr zum Thema „Migration“ in Europa lesen Sie in den ersten Hintergrundbeiträgen des FuturEU-Teams (https://www.presseportal.de/pm/159651/5071553) zu diesem Konferenzthema sowie auch zur Europäischen Solidarität mit der Ukraine (https://www.presseportal.de/pm/159651/5165744).
—
In welchem Europa wollen wir künftig leben? – Mit der Konferenz zur Zukunft Europas bieten das Europäische Parlament, der Rat und die Europäische Kommission Ihnen die Gelegenheit der Partizipation, um gemeinsam die Herausforderungen und Prioritäten Europas zu diskutieren. Rund um die Konferenz veröffentlicht das FuturEU-Team aktuelle News, fundierte Erklärstücke in multimedialen Formaten für Ihre Berichterstattung. Dieses Hintergrundwissen bereitet die teilnehmenden Europäerinnen und Europäer gut auf die Konferenz vor, um die Zukunft Europas mitzugestalten. #TheFutureIsYours (https://twitter.com/hashtag/TheFutureIsYours)
Das Projekt wurde von der Europäischen Union im Rahmen eines Förderprogramms für Kommunikation des Europäischen Parlaments kofinanziert. Das Europäische Parlament war nicht an der Vorbereitung beteiligt, übernimmt keinerlei Verantwortung für die im Rahmen des Projekts veröffentlichten Informationen oder zum Ausdruck gebrachten Ansichten und ist nicht daran gebunden; für das Projekt haften ausschließlich die Autoren, die interviewten Personen sowie die an der Veröffentlichung des Programms beteiligten Verleger und Sendeanstalten gemäß geltendem Recht. Auch kann das Europäische Parlament nicht für direkte oder indirekte Schäden haftbar gemacht werden, die möglicherweise durch die Durchführung des Projekts entstehen.
Pressekontakt:
FuturEU-Team
FuturEU@newsaktuell.de
Original-Content von: Conference on the Future of Europe, übermittelt durch news aktuell