Erfurt (ots) –
Zerbrechliche Kunst aus der gläsernen Werkstatt
Rote Flächen an den vier Enden weisen in alle Himmelsrichtungen, schattierte und marmorierte blaue Bänder symbolisieren den Himmel, gelbe Zungen lodern fast wie Flammen und alles aus zerbrechlichem Glas. Das Kreuz im Kirchenpavillon auf dem Petersberg bietet dem Auge ungezählte Anregungen. Die Farb- und Formensprache der Erfurter Glaskünstlerin Sandra Meinung hat dem Kreuz seine symbolische Schwere genommen, die es in der christlichen Geschichte verkörpert und ihm Leichtigkeit verliehen. Die Strahlen der Morgensonne spielen mit den Farbflächen, im Laufe des Tages verändert sich das Licht, das sich im Glas bricht. Das gläserne Kreuz hat seinen Platz im modernen, hölzernen Kirchenpavillon auf dem Erfurter Petersberg, der eigens für die Bundesgartenschau auf dem historischen Stadtberg entworfen und errichtet wurde. „Ins Herz gesät“ ist der ökumenische Beitrag betitelt und genau das schafft das gläserne Kreuz bei dem, der sich Zeit zum Verweilen nimmt, den unterschiedlichen Lichteinfall auf sich wirken lässt. Das Purpur der Kreuzenden wird vom geschwungenen Pavillon aufgenommen, an dessen Rändern das rote Band weiterläuft: hin zum Kneippgarten oder zum Küchengarten im Stile alter Klostergärten.
Die Schöpferin des fragilen Kunstwerkes ist öfter auf Petersberg, schon frühzeitig hat sie sich darum bemüht, persönlich zu dieser Bundesgartenschau in ihrer Heimatstadt Erfurt beizutragen. Ursprünglich war für den Kirchenpavillon direkt neben dem historischen Gebäude der Klosterkirche St. Peter und Paul nicht geplant, das ins Holz geschnittene Kreuz zu schließen. Als sich die Chance dazu ergab, packte Sandra Meinung sie beim Schopfe und fertigte neun Entwürfe für das 1,20 x 2,00 m große christliche Symbol.
In der Glasmanufaktur Waldsassen bestellte die studierte Glasrestauratorin die mundgeblasenen Echtantikgläser. „Dafür wurde der flüssige Werkstoff mit einer Glasmacherpfeife zu einer Kugel geformt, zu einem Zylinder geblasen, aufgeschnitten und geglättet. Bereits im Mittelalter wurde diese Technik verwendet, mehr als 5000 Farbtöne können so erzeugt werden“, erzählt die mit ihrer Fröhlichkeit ansteckende Erfurterin. Zu den traditionellen Gläsern in Gelb, Rot und Blau kombinierte die Glashandwerkerin ein marmoriertes Material. Für den ausgewählten Entwurf fertige Sandra Meinung zuerst Schablonen aus derbem Karton, für jedes Teil des Kreuzes eine Vorlage. Mit der Hand schnitt sie dann die Formstücke aus dem farbigen Glas. Das beherrscht sie nahezu perfekt, vor ihrem Studium an der Fachhochschule Erfurt erlernte sie das Glaserhandwerk und darüber ist sie heute noch froh. „Es ist eine wichtige Ergänzung. Das Studium befasste sich mit viel Theorie wie Geschichte, Fotografie, Geschichte der Glasgestaltung. Die Arbeit mit dem zerbrechlichen Werkstoff erfordert handwerkliches Geschick und Erfahrung, das hat mir meine Ausbildung gegeben“, erzählt die Kunsthandwerkerin.
Nach dem Schneiden der Formstücke bemalte sie diese in mehreren Schritten mit transparenten Farben, Schicht für Schicht wurde im Ofen bei 600 °Celsius gebrannt. Jedes Teil ist dadurch ein Unikat in Form und Farbe. Im abschließenden Arbeitsgang setzte sie das Kreuz zusammen, fast wie ein Puzzle. Verbunden sind die Teile mit Bleiprofilen, die Sandra Meinung mit geschickten Händen um die Scherben gebogen hat. An den Verbindungsstücken wurde mit Zinn verlötet. Nach 70 Stunden war das Kreuz für den Kirchenpavillon vollendet.
„Diese Arbeitstechnik wurde bereits im Mittelalter verwendet, so sind viele Kirchenfenster entstanden“, erzählt Sandra Meinung, die in ihrer Erfurter Werkstatt auch solche wertvollen Stücke restauriert. Dabei lässt sie sich gern über die Schulter schauen, seit 10 Jahren hat sie ihr Domizil in der Schauwerkstatt im Innenhof der Handwerkskammer. Kirchenfenster finden sich viele in ihrer Werkstatt. „Eine Zeit lang wurden viele Fenster entfernt, weil sie nicht aus dem Mittelalter stammten, sondern im 19. Jahrhundert getauscht wurden. Als Glasrestauratorin möchte ich diese Arbeiten bewahren, sie haben ihren eigenen Charakter, gehören zur Geschichte der jeweiligen Kirche und sind Teil unserer Historie“, erklärt sie ihre Beweggründe für die Sammelleidenschaft. Als Restauratorin kann sie daran die unterschiedlichen Techniken anwenden, um das Fenster zu erhalten. „Ziel des Restaurierens ist es nicht, dass die Dinge dann wieder wie neu sind. Mein Anspruch ist es nicht, dass ich, so viel es geht, erhalte. Bei gemalten Fenstern ist es besonders schwierig, den Stil des Malers zu treffen“, so Sandra Meinung. In den zehn Jahren ihrer Arbeit im Innenhof der Handwerkskammer haben sich viele Fenster angesammelt.
Wer den Weg zur versteckten gläsernen Werkstatt gefunden hat, wird vom gemütlichen Ambiente rund um Sandra Meinungs Domizil begrüßt. Sitzmöglichkeiten, viel Grün und sogar ein Männerwartesessel. Geduld ist schon gefragt, wenn man die vielen Ausstellungsstücke ihrer Schauwerkstatt in Ruhe betrachten möchte und vielleicht die eine oder andere Frage an die Kunsthandwerkerin hat. Glasschmuck, gepresste Flaschen – ein echter Verkaufsrenner wie die freundliche Werkstattbesitzern erzählt – Schlüsselanhänger und viele Kirchenfenster. Sandra Meinung probiert gern Neues aus. So hat sie vor kurzem mit Kalligrafie begonnen. Und weil sie alles ganz macht, was sie anpackt, finden sich in ihrem Laden Karten in schönster Handschrift in größerer Auswahl. Mit gleicher Leidenschaft wollte sie Teil der BUGA sein, die 171 Tage in ihrer Heimatstadt Station machte. Sie ist öfter auf dem Petersberg zu treffen, sie möchte viele der besonderen BUGA-Momente mitnehmen. Wenn die BUGA zu Ende ist, dann wird auch das gläserne Kreuz auf dem Petersberg mit dem Kirchenpavillon abgebaut. Sandra Meinungs größter Wunsch wäre, dass es einen neuen Platz bei einer Kirchengemeinde findet, die sich die wunderbaren BUGA-Erinnerungen nach Hause holen will. Sie freut sich über Anfragen unter glaeserne-werkstatt@gmx.de.
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