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Die destruktive Kraft alter Patriarchen

Bühl (ots) –

„Patriarchen“ sind einer von mehreren Typen von Führungsfiguren, die in der Wirtschaft erfolgreich sein können, sei es als Familienunternehmer, Top-Manager oder Gründer von Start-ups. Dr. Christian Graz, Chefarzt der Psychosomatik der Max Grundig Klinik, hat in seiner täglichen Arbeit viele Patriarchen aus der Nähe beobachtet: „Sie sind oft charismatisch, haben eine technologische und/oder strategische Vision und sind überdurchschnittlich leistungs- und zielorientiert.“ Darüber hinaus sei ihr Führungsstil autoritär, manipulativ und setzt sichtbar auf Macht, so Dr. Graz weiter. Patriarchen besitzen zudem ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl und faszinieren häufig ihr Umfeld.

Dr. Christian Graz sagt: „Die Kombination dieser Eigenschaften hat viele außergewöhnliche Unternehmerpersönlichkeiten hervorgebracht.“ Elon Musk beispielsweise ist ein moderner Patriarch, der mit diesen Charakteristika sich und seine Mannschaft nach vorne peitscht.

Dem Chefarzt der Max Grundig Klinik fällt aber auch die Kehrseite des Mindsets von Patriarchen auf. Immer wieder suchen Patienten Hilfe, die unter Patriarchen leiden. Toxisch wird das Verhältnis von Patriarchen zu ihrem Umfeld oft dann, wenn diese älter werden. Dr. Graz erläutert: „Wenn erfolgreiche Patriarchen über den Zenit ihrer Leistungsfähigkeit sind, jedoch nicht von ihrer führenden Rolle in einem Unternehmen lassen können, entwickeln sie eine starke destruktive Kraft, die im Extremfall sogar die Firma gefährden kann.“

Als prominenter Fall mag Ferdinand Piech dienen. Der geniale Techniker führte zunächst Audi zu ungeahnter Größe, machte aus dem Sanierungsfall Volkswagen eines der größten und effizientesten Automobilunternehmen der Welt und integrierte die familieneigene Firma Porsche in den VW-Konzern. Eine historische Lebensleistung. Über dem Zenit seiner Leistungsfähigkeit lieferte sich Piech aber dann einen bizarren Machtkampf mit seinem ehemaligen Zögling Martin Winterkorn. Heute ist Volkswagen im Rahmen einer vielschichtigen Transformation unter anderem damit beschäftigt, die hierarchische, einst auf Ferdinand Piech zugeschnittene Unternehmenskultur aufzubrechen und mit einer stärker auf Kooperation, Diversität und Diskurs ausgerichtete Kultur zu ersetzen.

Dr. Graz merkt an: „In sehr vielen Firmen sind ähnliche Prozesse im Gange, die Management und Mitarbeitern die tägliche Arbeit enorm erschweren. Es sind vor allem Familienunternehmen, die in diese Falle tappen, weil Eigentümer in der Regel nicht oder nur sehr schwer aus ihrer Position zu verdrängen sind.“ Bei Top-Managern in börsennotierten Unternehmen werden in aller Regel über Altersgrenzen, durch den Druck jüngerer, sich warmlaufender Kollegen oder durch die Finanzmärkte das Phänomen destruktiver Patriarchen gelöst.

Nach Dr. Christian Graz lässt sich die destruktive Kraft alter Patriarchen an folgenden Beobachtungen festmachen:

– Bei schwindender Akzeptanz wird Macht umso direkter eingesetzt.
– Alte Patriarchen schinden in Gesprächen Eindruck und „schwadronieren-drauf-los“. Sie tendieren dazu, in ihrer Kommunikation Feedbacks nicht zu berücksichtigen.
– Aus Selbstbewusstsein wird ein überzogenes Selbstwertgefühl. Sie wirken anmaßend, arrogant und dominant mit einer Haltung der persönlichen Überlegenheit.
– Entgegen der verbalen Kommunikation sinkt die Risikobereitschaft bei unternehmerischen Entscheidungen.
– Es steigt die persönliche Verunsicherung, weil neue Trends wie Digitalisierung oder der Einsatz von KI, Big Data, etc. intellektuell nicht mehr durchdrungen wird.
– Wie bei allen Menschen sinkt auch bei Patriarchen ab einem gewissen Alter die Neuplastizität des Gehirns. Gedächtnisleistung, Denkvermögen, Urteilsfähigkeit und Informationsverarbeitung lassen nach.
– Alte Patriarchen leben dann gerne in der Vergangenheit und erzählen ständig die überzeugend klingenden Geschichten aus ihrer guten alten Zeit.
– Die Tendenz, Management und Mitarbeiter zu manipulieren, andere für den persönlichen Vorteil auszuspielen und Schwächen zu nutzen, nimmt zu.
– Es herrscht ein Mangel an Selbstreflexion, Reue und Schuldgefühlen. Die ohnehin gegebene Schwierigkeit, affektive Verbindungen zu anderen einzugehen, verstärkt sich noch.
– Alte Patriarchen agieren selbst bezogen und sind ständig besorgt, den Status als „Nummer 1“ zu verlieren.
– Sie reagieren deshalb zunehmend aufbrausend und reizbar. Kritik wird nicht akzeptiert.

Dr. Graz: „Am Ende entsteht bei dem Umfeld der Eindruck, dass der starke Patriarch inzwischen „in zu großen Schuhen“ läuft. Einst auf der großen Bühne Zuhause und gerne im Rampenlicht, erlebt er oder sie sich im Inneren auch selbst als insuffizient.“ Letztlich wissen die Patriarchen, dass sie ihre Einzigartigkeit eingebüßt haben und fordern deshalb umso lauter einen Sonderstatus ein. Einst treue Gefolgsleute im Management geraten in Loyalitätskonflikte, für Führungskräfte von außen wird das Unternehmen unattraktiver. Misserfolge und Scheitern erklären alte Patriarchen mit äußeren Umständen. Sie reden von großen Taten und großen Triumphen, die Diskrepanz zwischen Wollen und Können wird dabei einfach verdrängt.

„Der destruktive Führungsstil alter Patriarchen bewirkt auch, dass Fremd-Geschäftsführer kündigen und Führungskräfte am Markt Angebote ablehnen. Die Nachfolge bleibt ungelöst und dem Nachwuchs aus der eigenen Familie wird nicht der nötige Raum gewährt, um sich als Persönlichkeit zu entwickeln“, so Dr. Christian Graz abschließend.

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