München (ots) –
– Ab September voraussichtlich ein Viertel der DAX-Aufsichtsräte ohne Arbeitnehmervertreter
– Weitere zwei Unternehmen nur „drittelmitbestimmt“
– 2015 waren noch alle DAX 30-Aufsichtsgremien mitbestimmt
– Frauenquote sinkt nach erwarteter Erweiterung auf 40 DAX-Mitgliedsunternehmen
München (ots) – Sie gilt als große Errungenschaft und Garant des Betriebsfriedens: die paritätische Mitbestimmung. Doch der Einfluss der Arbeitnehmer durch ihre Vertretung in den Aufsichtsräten der größten deutschen börsennotierten Unternehmen sinkt. Waren im Jahr 2015 noch alle 30 Aufsichtsräte der DAX 30-Unternehmen mitbestimmt, so sind es zur Zeit nur noch 26. Wenn der DAX im September wie geplant auf 40 Mitglieder aufgestockt wird, müssen sich die Arbeitnehmervertreter auf weiter schwindenden Einfluss einstellen: Sollten die aktuellen Kandidaten für den DAX 40 in den Index aufgenommen werden, würden in zehn Aufsichtsräten, also einem Viertel, keine Arbeitnehmervertreter mehr sitzen. Im M-DAX ist die Entwicklung für die Arbeitnehmervertreter noch dramatischer. Das geht aus der jährlichen Analyse der DAX-Aufsichtsräte durch die Personalberatung Russell Reynolds Associates hervor.
Mögliche Gründe für den abnehmenden Einfluss der Arbeitnehmervertretung liegen in der zunehmenden Internationalisierung des DAX, der um Unternehmen mit teils anderer Struktur und Vorgeschichte als bisher typisch erweitert wird: Vier Unternehmen, die als europäische Aktiengesellschaft SE firmieren, waren bei ihrer Gründung nicht mitbestimmungspflichtig, was bei späteren Veränderungen, z.B. der Unternehmensgröße, fortgeschrieben wird (Vonovia, Brenntag, Hello Fresh, Deutsche Wohnen). Drei Unternehmen haben ihren Sitz im Ausland und unterliegen deshalb nicht der deutschen Mitbestimmung (Linde firmiert als plc in Großbritannien, Airbus und Qiagen haben ihren Sitz in den Niederlanden). Für Porsche SE gilt eine Ausnahme von der paritätischen Mitbestimmung, solange sie nur als Finanzholding tätig ist. Weitere zwei Unternehmen (Fresenius Medical Care und Siemens Healthineers) gelten als Teilkonzerne mitbestimmter Konzernmütter und unterliegen deshalb nicht der paritätischen Mitbestimmung. Und die beiden Aufstiegskandidaten Zalando und Hannover Re sind nur zur Drittelmitbestimmung verpflichtet.
Noch deutlicher ist die Entwicklung im M-DAX. Gab es 2016 von den damals 50 M-DAX-Unternehmen zwölf ohne Arbeitnehmervertreter (24%), so ist diese Zahl im M-DAX von 2021 (mit jetzt 60 Mitgliedern) auf 26 gestiegen (43%).
„Die Internationalisierung der deutschen Unternehmen geht weiter und ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Es muss aber hinterfragt werden, ob damit das durchaus erfolgreiche deutsche Modell der Mitbestimmung schleichend ausgehebelt wird. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber vielfach Regelungen ausschließlich für paritätisch mitbestimmte Unternehmen definiert“, sagt Dr. Thomas Tomkos, Leiter der Deutschen Board Practice von Russell Reynolds Associates.
Über den zurückgehenden Einfluss der Arbeitnehmer hinaus, hat diese Veränderung noch weitere Konsequenzen: Das gerade verabschiedete zweite Führungspositionengesetz (FüPoG II), das eine Frauenquote für Vorstände vorschreibt, gilt für börsennotierte und gleichzeitig paritätisch mitbestimmte Unternehmen; es würde also nach der Erweiterung des DAX nach jetzigem Stand nur noch für 28 der 40 grössten deutschen börsennotierten Unternehmen gelten (zehn nicht mitbestimmte und zwei drittelmitbestimmte Unternehmen).
Der Frauenanteil auf Aktionärsvertreterseite hat sich laut Studie auch 2021 weiter erhöht auf aktuell durchschnittlich 33,6%. Für den gesamten Aufsichtsrat inklusive Arbeitnehmervertreter bleibt der Frauenanteil unverändert bei 36,3%. Mit einer Ausnahme (Linde) liegen jetzt alle Unternehmen über den geforderten 30% Frauenanteil im Aufsichtsrat. Zwei Unternehmen (Covestro und Infineon) haben mit 50% sogar Parität erreicht. Weitere sechs Unternehmen liegen über 40%. Beim Anteil der Frauen als Vorsitzende des Aufsichtsrats oder von Ausschüssen gab es allerdings erneut keinen Fortschritt. Es gibt weiterhin nur eine Aufsichtsratsvorsitzende und 17 weibliche Ausschussvorsitzende (von 144). Die Zahl der weiblichen stellvertretenden Aufsichtsräte ist sogar gesunken. Durch die Erweiterung des DAX 30 auf den DAX 40 durch die jetzigen Aufstiegskandidaten würde der Frauenanteil um 1,2 Prozentpunkte auf 32,4% fallen (Aktionärsvertreterseite).
„Der Frauenanteil in den DAX-Aufsichtsräten ist in den letzten Jahren stark gestiegen und hat nun ein Plateau erreicht. Deutschland hat mit dem jetzigen Anteil international deutlich aufgeholt, darf aber nicht bei dem Erreichten stehen bleiben: Es muss nun daran gearbeitet werden, dass endlich auch der Einfluss in Form von Vorsitzen von Aufsichtsgremien und ihren Ausschüssen von Männer und Frauen in vergleichbarem Verhältnis ausgeübt wird“, sagt Jens-Thomas Pietralla, Leiter der Europäischen Board Practice von Russell Reynolds Associates.
Studie herunterladen (https://www.dropbox.com/s/zxj9qxs7u4ez39r/Russell_Reynolds_DAX30_Aufsichtsratsanalyse_2021.pdf?dl=0)
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