Karlsruhe (ots) – Wann hat Ihnen ein Date zuletzt beim Tindern „stillgestanden!“ befohlen? Oder wo waren Sie mal mit einem Grabstein verabredet?
Diese Fragen sind durchaus nicht satirisch gemeint. Denn beides ist real. Wie das?
Die Antwort darauf finden Sie, wie immer bei einem Rätsel, am Ende.
Pandemie, Lockdown – Kulturstätten zu. Auch in Karlsruhe. Nun hängen da also einsam wunderschöne Gemälde an den Wänden, Installationen summen gegen die Stille an, ein Hai zieht träge im azurblauen Wasser seine Bahnen. Die Büros sind verwaist?
Nein, denn der Lockdown hat zu einem noch nie dagewesenen Kreativ-Schub der Karlsruher Kultur geführt. „Unter dem Druck der Pandemie haben sich Ideen geformt, die ohne diese Ausnahmesituation wohl kaum so schnell Realität geworden wären“, bekennt Dr. Eduard Harms, Leiter des Referats „Bildung und Vermittlung“ des Staatlichen Museums für Naturkunde in Karlsruhe.
Im Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM), im internationalen Ranking der wichtigsten Museen der Welt auf Platz vier, ereignete sich zur gleichen Zeit eine Explosion – aber die Feuerwehr musste nicht ausrücken. Denn, wie sich Barbara Kiolbassa, Kunstvermittlerin am ZKM, lebhaft erinnert, explodierte nicht etwa ein Gastank, „sondern die Kreativität“.
Der Karlsruher Kultur-Virus war so ansteckend, dass sich im Badischen Landesmuseum sogar ein Grabstein damit infizierte – und zu sprechen begann.
Naturkundler Dr. Harms erinnert sich noch genau an den 16. März 2020, als es im Haus plötzlich mucksmäuschenstill wurde. An diesem Tag beschlossen Bundesregierung und Länderchefs, Deutschland (beinahe komplett) dicht zu machen.
Wie andere Kultur-Projekte versanken danach zum Beispiel die „Horizonte einer neuen Erdpolitik“ der international mit Spannung erwarteten ZKM-Ausstellung „Critical Zones“ in menschenleeren, dunklen Hallen.
Doch das tückische Virus hatte nicht damit gerechnet, dass die Kurator*innen, die Medienmenschen, die Museumspädagogen – und sogar das Publikum – im wahrsten Sinn des Wortes zu Antikörpern wurden.
Das Bild von den „Antikörpern“ ist durchaus kein Gag, sondern stimmig. Denn wie Antikörper in einem biologischen Immunsystem schlossen sich die Mitarbeiter*innen in den Kulturstätten zusammen, um den Eindringling abzukapseln und mittels einer wirksamen Strategie unschädlich zu machen. Naturgemäß mit individuell zugeschnitten Konzepten – aber dennoch, wenngleich nicht offiziell abgesprochen, unter einem gemeinsamen Motto: Digital – genial.
Die Kunsthalle hatte bereits einen in Deutschland „unbekannten Bekannten“ aus ihren Sälen erfolgreich auf Youtube-Tour geschickt: François Boucher. Der Blick auf das Schaffen dieses französischen Malers des Rokokos sei „seltsam verstellt“, sagt die Kuratorin Dr. Astrid Reuter, das wolle die Ausstellung ändern. Bisher mehr als 4.000 Klicks beweisen: der Bekannte wird nicht mehr lange unbekannt bleiben.
Für die „Critical Zones“ im ZKM wurde es auf unvorhergesehene Weise critical: Die Eröffnung musste ohne Publikum stattfinden. Heißt: wirklich weltweit bliebe die ambitionierte Ausstellung völlig ohne Resonanz.
In den Abteilungen begannen virtuelle Alarmsirenen zu heulen. Normalerweise ergreifen Menschen bei Alarm reflexartig die Flucht – doch im ZKM bewirkte er genau das Gegenteil. Nämlich die besagte Explosion der Schaffenskraft.
Innerhalb von fünf Wochen transponierte das Team die Ausstellung samt digitaler Premieren-Feier ins Netz. Eine Herausforderung, denn ein Zentrum, das den Anspruch der Fusion von Kunst und Medien sogar im Titel trägt, kann doch gar nicht anders, als parallel zur analogen Inszenierung online ein eigenes, neues Kunstwerk zu schaffen.
Das Wagnis gelang: 30 000 Zugriffe beim Livestream-Festival. So viel Publikum hätte bei einer analogen Veranstaltung wohl kaum ins Haus gepasst.
Im Naturkundemuseum war ein digitaler Auftritt aus einsichtigen Gründen kein bestimmender Teil der Bildungs- und Vermittlungs-Strategie: Auge in Auge mit einem Hai, nur getrennt durch eine Aquariums-Glaswand, verursacht eben mehr Gänsehaut als der Blick auf das Glas eines PC-Monitors. Aber der Star der Wasserwelt konnte nun auch nicht mehr live „Hi“ blubbern.
In kürzester Zeit stemmte die Museums-Crew einen interaktiven Netzauftritt – und landete damit zu seiner völligen Überraschung einen Hit nach dem anderen. Das Angebot „Nachgefragt“, bei dem Wissenschaftler*innen Fragen von Onlinern beantworten, löste ein bundesweit hallendes Medien-Echo aus. Mittlerweile werden auch Onlineführungen für Schulklassen durch das Museum via Smartphone angeboten.
Doch nun endlich die Antwort auf die Frage vom Beginn: Was hat Tindern mit der Karlsruher Kultur zu tun? It’s a Match! Und zwar im Badischen Landesmuseum.
Dr. Johannes Bernhardt, Digital Manager des Landesmuseums, hatte in Berlin eine hochinteressante Entdeckung gemacht: Da bastelte das „Game Lab“ in Kooperation mit dem Humboldt-Forum eine App der ganz besonderen Art. Heraus kam „Ping“. Damit werden die Schloss-Spezialist*innen international Aufsehen erregen. Das ist so sicher wie Karl Wilhelm Stadtgründer von Karlsruhe war.
App-Nutzer können nach dem Tinderprinzip (was nicht gefällt wird weggewischt) Objekte des Museums wählen. Wobei die Ping-Pioniere nicht mehr von „Objekten“ sprechen. Denn aus Skulpturen, Bildern und sogar Grabsteinen „wurden plötzlich Persönlichkeiten“, sagt Digital-Manager Bernhardt. Kein Witz: Die „Objekte“ (…pardon!) reden mit – oder besser schreiben – den Museums-Tindern.
Mehr als 40 Autor*innen, darunter Laien aus den Reihen des Bürgerbeirates, ersannen und schrieben, inspiriert durch Projektleiterin Christiane Lindner, Dialoge individuell für jeden Ping-Match. Da kommandiert ein Centurio der römischen Armee schon mal von seinem Grabstein: „Sag mir die Antwort, oder gib mir 100 Liegestütze!“ Die Tinderaner haben dann die Wahl zwischen zwei oder drei Antworten. So entwickelt sich kein Dialog wie der andere. Und ohne es recht zu merken, tanken die Dates Wissen. „Ping“ startet, sobald endlich die Post-Pandemie-Periode beginnt. Genial digital.
Statt Stillstand hat die Pandemie also in der Karlsruher Kultur Explosionen, Immunreaktionen, Tindern, oder Youtube-Hits verursacht. Zwar finden die Mitwirkenden den Lockdown trotzdem „Mist!“ (…O-Ton einer Gesprächspartnerin). Aber alle, wirklich alle, sagen: Was wir in dieser Zeit über die Chancen und Möglichkeiten digitaler Kultur-Konzepte gelernt haben, wird die Pandemie weit überdauern und unser Angebot künftig völlig neu aussehen und wirken lassen. Dazu gehört auch, dass es bei „Ping“ nicht Heititeiti wie im Tindergarten zugeht: Passt dem Objekt (…nochmals: sorry!) ein Match nicht, kickt es sie oder ihn einfach raus. Peng statt ping.
Auch Post-Pandemie kann hart sein.
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