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Was in Haiti schiefgelaufen ist / Hintergrund zum 10. Jahrestag des großen Erdbebens in Haiti (12.1.)

München (ots) – Nach dem großen Erdbeben vor zehn Jahren waren die
Hilfsbereitschaft groß und die zugesagten Gelder hoch. Dennoch geht es den
Haitianern heute mehrheitlich schlechter als vor der Katastrophe. Warum ist das
so?

Von Wilfried Vyslozil, Vorstandsvorsitzender der SOS-Kinderdörfer weltweit

Zehn Jahre ist es am 12. Januar her, dass in Haiti die Erde bebte. Mehr als
300.000 Menschen verloren damals in der Hauptstadt Port-au-Prince und ihrer
Umgebung ihr Leben, Hunderttausende überlebten die Katastrophe schwer verletzt.
Fast zwei Millionen wurden obdachlos. Der materielle Schaden wurde auf über
sieben Milliarden Dollar geschätzt.

Die Hilfsbereitschaft danach war so groß wie selten. Die internationale
Staatengemeinschaft versprach rund zehn Milliarden US-Dollar an Not- und
Wiederaufbauhilfe. Dazu kamen rund drei Milliarden von regierungsunabhängigen
Organisationen und noch einmal rund vier Milliarden, die der damalige
venezolanische Präsident Hugo Chávez über sein Petrocaribe-Programm für Haiti
ausschüttete. Daran gemessen müsste Haiti heute vielleicht kein prosperierendes
Land sein, aber doch eines, das auf dem besten Weg ist, die bittere Armut zu
überwinden.

Leider ist das Gegenteil der Fall. Den Haitianern geht es heute mehrheitlich
schlechter als vor dem Erdbeben. Ende 2019 wurde das Land über mehrere Monate
hinweg von Unruhen erschüttert. Die Menschen gingen zu Zehntausenden
protestierend auf die Straßen, täglich kam es zu Schießereien zwischen
bewaffneten Banden und Sicherheitskräften. Schulen und Universitäten waren
geschlossen, das Wirtschaftsleben stand still. Es gibt weiterhin kaum
Trinkwasser und Benzin, nur wenig Lebensmittel und selten Elektrizität. Da ist
in den vergangenen zehn Jahren ganz offensichtlich etwas schiefgelaufen.

Letzter Auslöser der Unruhen war ein Bericht über die Verwendung der vier
Milliarden Dollar, die nach dem Beben aus Venezuela kamen. Etwa die Hälfte davon
ist verschwunden. Der Bericht hat das mit Ärger und Wut bereits gefüllte Fass
zum Überlaufen gebracht.

Die Haitianer haben mit angesehen, wie in Port-au-Prince Bauzäune errichtet
wurden, hinter denen sich bis heute nichts oder nur sehr wenig getan hat. Sie
haben erfahren, dass mit mehreren hundert Millionen Dollar im Norden des Landes
ein Industriepark errichtet wurde und ein koreanischer Konzern dort 20.000
Arbeitsplätze für Näherinnen versprochen hat. Es waren nie mehr als ein Viertel
davon und auch davon wurde schon wieder ein Teil abgezogen, weil es sich
anderswo noch billiger produzieren lässt. Für die Obdachlosen wurden Unterkünfte
aus Sperrholzplatten und Wellblech weit außerhalb von Port-au-Prince errichtet.
Die Siedlung zählt heute 200.000 Einwohner und ist zu einem der gefährlichsten
Slums Haitis heruntergekommen. Die Beispiele ließen sich beliebig erweitern. Der
Wiederaufbau in Haiti war reich an bizarren Fehlplanungen, die von der dort
herrschenden Korruption und Misswirtschaft noch verstärkt wurden.

Direkt nach dem Erdbeben lief die Nothilfe routiniert. UN, Regierungen und
Hilfsorganisationen taten ihr Bestes, den Haitianern zu helfen. Erstmals
arbeiteten die großen Organisationen gut koordiniert über UN OCHA, das UN-Büro
für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, im Cluster. Als die erste Not
gelindert war und der Wiederaufbau begann, wurden jedoch viele Fehler gemacht.
Der wohl wichtigste: Viele Wiederaufbauprogramme wurden übergestülpt, anstatt
sie gemeinsam mit den Einheimischen zu entwickeln.

Hätte man die Obdachlosen nach dem Erdbeben gefragt, was denn am nötigsten sei,
hätte sicher keiner gesagt, es sei eine neue Siedlung weit außerhalb der Stadt
und nahezu ohne Verkehrsanbindung. Niemand hätte sich für einen fernab gelegenen
Industriepark mit Nähereien für den Export entschieden. Das sind Projekte, die
oft nur aus der Schublade gezogen wurden. Eben deshalb gingen sie oft an Land
und Leuten vorbei. Haitianer, das ist unsere Erfahrung, entscheiden sich lieber
für kleinere Dinge. Für solche, die sie zu handelnden Menschen und nicht zu
Hilfeempfängern machen. Das ist ein langer und manchmal sehr mühevoller Weg.
Aber es ist der einzige Weg, der auf lange Sicht Erfolg verspricht.

Die SOS-Kinderdörfer helfen in Haiti seit 35 Jahren mit Langzeit-Projekten. Die
Projekte werden geleitet und ausgeführt von Haitianern. Unmittelbar nach der
Katastrophe hat die Hilfsorganisation 117 Lebensmittelverteilstellen
eingerichtet und darüber fast 24.000 Kinder und Erwachsene ein halbes Jahr lang
versorgt. Viele dieser Verteilstellen wurden inzwischen in dauerhafte
Sozialzentren umgewandelt. Dort werden extrem arme Familien durch Aus- und
Fortbildung befähigt, selbst ein kleines Geschäft aufzuziehen und so für eigenes
Einkommen zu sorgen. Außerdem haben die SOS-Kinderdörfer nach dem Erdbeben neun
Schulen gebaut oder renoviert, um Kindern Bildung zu ermöglichen.

Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an:

Louay Yassin
Pressesprecher
SOS-Kinderdörfer weltweit
Tel.: 089/179 14-259
E-Mail: louay.yassin@sos-kd.org
www.sos-kinderdoerfer.de

Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/1658/4487051
OTS: SOS-Kinderdörfer weltweit

Original-Content von: SOS-Kinderdörfer weltweit, übermittelt durch news aktuell

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